Die Eltern sehen ein mathematisches Talent schlummern, das man selbst noch gar nicht entdeckt hat. LehrerInnen beobachten eine Einzelkämpferin, wo man doch von seiner Teamfähigkeit überzeugt ist. Wie entscheiden sich SchülerInnen dann für die passende Ausbildung? „Wir sind erstaunlich schlecht darin, unsere Persönlichkeit, Kompetenzen und Talente zu beurteilen“, fasst Psychologe Aljoscha Neubauer zusammen. Selbst- und Fremdsicht klaffen mitunter weit auseinander – gerade in Bereichen, die unterdurchschnittlich ausgeprägt sind. „Offenbar fehlt uns da auch die Meta-Kompetenz, uns richtig wahrzunehmen“, so der Experte. Mangelt es jemandem beispielsweise an Offenheit oder Gewissenhaftigkeit – sozial erwünschten Persönlichkeitsfaktoren –, tendieren die Betroffenen dazu, sich zu überschätzen. Warum Menschen ein begrenztes Bewusstsein haben, wie gut sie in einer Sache sind, und wo im Gehirn diese Fehleinschätzungen abgebildet sind, beschäftigt Neubauer in seiner Forschung. Ein wichtiger Antrieb dafür: Jugendliche in der richtigen Berufs- oder Studienwahl zu unterstützten. „Das gängige Dogma, man solle unbedingt das verfolgen, was einem Spaß macht, ist nicht immer richtig, denn das stimmt oft nicht mit den Begabungen überein“, mahnt der Psychologe. „Ich empfehle immer, schaut nicht nur auf die Interessen junger Menschen.“
Nur Burschen in die Technik?
Geschlechterstereotypen sind nicht mehr zeitgemäß, betont Neubauer. Ein gutes Beispiel hierfür sei die Debatte rund um die MINT-Fächer, also jene Schul- und Studienrichtungen, die sich mit Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik auseinandersetzen. Hier ist die Meinung weit verbreitet, dass vor allem Burschen für diese Fächer geeignet sind. „Was aber empirisch überhaupt nicht zutrifft“, sagt der Forscher. Entscheidend für die optimale Berufswahl ist nämlich ein Mix aus Persönlichkeit, Interessen und Talenten.
Ich empfehle immer, schaut nicht nur auf die Interessen junger Menschen.
Aljoscha Neubauer
Hat man eine besondere Begabung, kann man auf diesem Gebiet auch zum Genie werden. Roland Grabner, ebenfalls Psychologie-Professor, beschäftigt sich mit Talentunterschieden und dem besseren Verständnis von Lernprozessen. Die Forschung differenziert ganz klar zwischen musikalischer, künstlerischer, motorischer, praktischer und intellektueller Begabung. „Die am besten erforschte Facette mit den drei Bereichen verbal, numerisch und figural-räumlich ist die intellektuelle Begabung. Intelligenz ist das Persönlichkeitsmerkmal in der Psychologie, das am besten messbar ist“, erzählt Grabner. Tests dazu gibt es schon seit mehr als hundert Jahren, wobei sie sich natürlich verändert haben. War man früher noch der Meinung, dass Intelligenz mit dem Lebensalter gleichermaßen steigt, so sieht man es heute anders: „Im dritten Lebensjahrzehnt beginnt sie wieder abzunehmen.“
Deshalb muss bereits im Schulalter bei der Berufsentscheidung angesetzt werden: Mittels Eignung herausfinden, wo die Stärken liegen. „Das Problem ist, dass im österreichischen System eine Entscheidung für die schulische Laufbahn sehr früh, nämlich mit rund zehn Jahren getroffen wird“, kritisiert Neubauer. „Das Gehirn kann sich bei Jugendlichen zwischen zwölf und 13 Jahren vollkommen neu ordnen.“ Begabungen, die als Kind erkennbar waren, können wieder verschwinden und andere sichtbar werden. Es müsse in Schulen mehr Beratungen stattfinden. In Bundesländern sollten so genannte Talente-Center installiert werden, wie es die Universität Graz gemeinsam mit der Wirtschaftskammer vorgezeigt hat, folgert der Experte.
Jede Entwicklung von Begabung in (Höchst-)Leistung erfolgt grundsätzlich über Lernen. Der Wunsch, das Gehirn noch leistungs- und aufnahmefähiger zu machen, ist mindestens so alt wie die Menschheit, führt Grabner aus. Seine Neugierde für dieses Forschungsgebiet ist enorm: „Wir können mittels neurowissenschaftlicher Methoden sehen, wie und wo im Gehirn Lernprozesse verarbeitet werden.“ Nun ist auch möglich, diese Regionen über eine schwache Stromzufuhr von außen so anzuregen, dass nachweislich der Lernerfolg verbessert werden kann. „Das Gehirn wird dadurch – einfach formuliert – in einen stärker aufnahmebereiten Zustand versetzt. So könnten wir mittelfristig neue Behandlungsmöglichkeiten bei Lernstörungen wie zum Beispiel der Rechenschwäche entwickeln.“
„Wir können sehen, wie und wo im Gehirn Lernprozesse verarbeitet werden.“
Roland Grabner
Es muss nicht immer ein Universitätsstudium sein: Die Job- und Karrierechancen sind, schließt man beispielsweise eine Lehre ab, weitaus höher als bei einem klassischen Studium, bestätigt Neubauer. Der Markt sei voll mit AkademikerInnen. „Zwar ist der Zugang zu Bildung in Österreich noch relativ frei, und er soll auch so bleiben, Aufnahmeverfahren machen aber gute Arbeit, indem sie den jungen Menschen sagen: ,Vielleicht ist das Biologie-Studium doch nicht geeignet für mich‘“, sagt der Psychologe.
Intelligenz ist sexy
Was auf der Strecke bleibt, sind die emotionale Kompetenzen. Sie sind mitunter nicht messbar, für die Persönlichkeit aber von großer Bedeutung. Deshalb ist Neubauer gerade dabei, ein Testverfahren zu entwickeln, das die emotionale Kompetenz sichtbar macht. In einer Speed-Dating-Studie wollen die WissenschafterInnen herausfinden, wie gut in diesem Setting die TeilnehmerInnen die intellektuellen Fähigkeiten des anderen Geschlechts erkennen können. „Die PartnerInnen-Wahl wird auch auf Basis der Intelligenz des Gegenübers getroffen. Wir wollen sichtbar machen, wie so etwas in kurzen Dates funktioniert und zum Erfolg führen kann.“