Reformbewegungen stocken in weiten Teilen Südosteuropas, autokratisch agierende Regierungen blockieren den Weg zum EU-Beitritt.
Südosteuropa: Das Schlagwort umfasst vierzehn Staaten, von Albanien bis Zypern. Aufgrund der geographischen Nähe sind die Beziehungen zu Österreich traditionell eng und der Austausch rege – schon zu Zeiten der Habsburger war das so. Heute ist die Region ein wichtiger Wirtschaftsmarkt für die europäische Union, der politische Kontakt ist intensiv und auch die Hochschulen kooperieren seit Langem erfolgreich und umfassend. Die Universität Graz definierte als erste Uni im deutschsprachigen Raum Südosteuropa im Jahr 2000 als gesamtuniversitären Schwerpunkt. Dieser beinhaltet Forschungszusammenarbeiten in unterschiedlichen Disziplinen – etwa Geschichte, Rechtswissenschaften, Slawistik – sowie die Mobilität von Studierenden und Lehrenden. Die langjährige Expertise im Bereich Südosteuropa ist ein absoluter „selling point“ in der scientific community, sagt Florian Bieber, Leiter des Zentrums für Südosteuropastudien: „Es gibt wenig Vergleichbares an Europas Hochschulen. Im Zuge eines zunehmenden Verlangens nach Spezialisierung ist ein so organisch gewachsener, gut untermauerter wissenschaftlicher Schwerpunkt tatsächlich ein Alleinstellungsmerkmal.“ Gesellschaftliche Relevanz erhält diese Forschung durch zwei Aspekte: Einerseits ist die Migration von Südosteuropa nach Österreich auch heute noch traditionell stark. Andererseits macht der Dialog mit WissenschafterInnen vor Ort sichtbar, dass die Demokratie in den Balkan-Ländern in der Krise steckt.
Schwierige Perspektive
Vor allem Studierende nutzen die Vielzahl an Fördermöglichkeiten und Stipendienprogrammen, wie etwa das Best of South-East-Programm der Steiermärkischen Sparkasse, um ihr Wissen auszubauen. Das hat einerseits Kapazitätssteigerung in den Herkunftsländern zur Folge, meint Kerem Öktem, ebenfalls vom Zentrum für Südosteuropastudien: „Unsere Arbeit mit dem akademischen Nachwuchs – etwa über das Joint Degree Master in Südosteuropastudien oder im Doktoratsprogramm Law and Politics – leistet einen wichtigen Beitrag zu einer verbesserten Ausbildung der Region. Die Studierenden bringen ihr Know-how in ihrer Heimat ein.“ Andererseits bleibt der Brain Drain, also die massive Abwanderung der Jugendlichen, dennoch ein großes Problem. Dass viele AbsolventInnen nicht nach Hause zurückkehren, hat mit den stockenden Reformbewegungen der Länder zu tun. In Südosteuropa ist Autokratie mehr am Zug als Demokratie. „Das ist ein global zu beobachtendes Phänomen. In Südosteuropa sind aber seit dem Zerfall des ehemaligen Jugoslawien in vielen Ländern Regierungen mit undemokratischen Mitteln an der Macht“, beschreibt Bieber. Die langen Wartezeiten auf einen EU-Beitritt führen innerhalb der Bevölkerung zu Skepsis gegenüber Europa und Abwehrhaltung auf der einen Seite sowie zu Perspektivenlosigkeit und Migration auf der anderen. Eines der Ziele der engen Zusammenarbeit der Universität Graz mit den derzeit 65 Partneruniversitäten im südosteuropäischen Raum ist es deshalb, demokratiepolitische Defizite aufzuzeigen. Die Türkei ist aktuell ein besonders besorgniserregendes Beispiel für die drastischen Folgen von Entdemokratisierung und Einschränkung grundlegender Freiheiten. Kerem Öktem: „Als Reaktion auf die Entlassung zahlreicher KollegInnen an türkischen Universitäten haben wir ein Academic Freedom Stipendium ins Leben gerufen. Eine türkische Gast-Forscherin konnte in Graz weiter an ihrer Dissertation zu sozialen Bewegungen arbeiten. Die zweite Preisträgerin darf derzeit allerdings nicht ausreisen.“
Klartext
Was kann man also tun? Seitens der europäischen Politik wünscht sich Bieber eine klare Sprache und deutliche Signale, wenn rechtsstaatliche Prinzipien verletzt werden. „Serbiens Präsident Aleksandar Vučić beispielsweise wird von Angela Merkel, Sebastian Kurz oder EU-Ratspräsident Donald Tusk hofiert. Es gibt aber viele Verdachtsmomente auf Korruption, Amtsmissbrauch und eingeschränkte Medienfreiheit in Serbien. Die offene Diskussion darüber findet nicht statt“, schildert der Forscher. Gleichzeitig sollten wichtige Schritte, wie etwa der Namenskompromiss zwischen Griechenland und Mazedonien – ein Konflikt, der immerhin 27 Jahre andauerte – von der EU entsprechend gewürdigt werden. „Die Reaktionen auf diesen Fortschritt waren verhalten. Dabei wäre es wichtig, hier ein positives Feedback zu geben“, so der Experte. Die Beitrittsverhandlungen mit jenen Ländern, die den rechtstaatlichen Kriterien entsprechen, müssen keinesfalls um jeden Preis abgeschlossen werden, meint Bieber. „Aber eine Kommunikation auf Augenhöhe wäre der Ausgangspunkt für eine gedeihliche Weiterentwicklung Südosteuropas, von der alle profitieren. Derzeit fehlt das politische Bekenntnis zu Veränderungen in den Ländern.“
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